@charlotte_schreibt – Das jungfräuliche Weiß (11)

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„Ich bin Jolanta, oder kürzer: Jola!“ begrüßt mich die Frau, auf die ich insgeheim gespannt war. „Kommen Sie rein.“ Das braucht sie nicht zweimal zu sagen. Mit acht hastigen Schritten stehe ich mit der Nase davor: Wow! Neutraler Duft. Nochmal Wow! Kein vermoderter Geruch, den ich erwartet habe. Frisch und rein. Ich fasse das ersteigerte Wunder an und erfühle den tollen Stoff. Wie neu, frohlocke ich. Wie unberührt!

„Ist neu!“ sagt Jola, als könne sie meine Gedanken lesen. „Möchten Sie was trinken?“ fragt sie mich, während sie zielstrebig zum Kühlschrank schreitet. Es ist ein schwingendes Schreiten, bemerke ich. Als ob in ihr eine geplante Überraschungparty im Gange ist.“ Ja gerne, aber wie wäre es mit „Duzen“ ? frage ich im Gegenzug, während meine Augäpfel am elegant geschnittenen Dekolltee des Kleides haften bleiben. Elfenbeinweiß, hauche ich in den Raum.

Wenig später halte ich eine Flasche Piccolo in der Hand. „Auf den perfekten Deal,“ konstatiert Jola den Moment. Perfekt wie wir da hocken, wie in einem Tütüüüü-Laden für stilsichere Frauenzimmer! Meine Gastgeberin scheint es nicht eilig zu haben. Ich setze mich auf die rote Couch, versinke tief mit halbgeleerter Flasche in die durchgesessene Mulde der letzten Jahrzehnte. Jola mustert mich, spüre ich. Es ist nicht unangenehm, aber es fällt mir auf, also werfe ich einen neugierigen Blick zurück. Mindestens gefühlte fünf Minuten Schweigen, bis ich mich traue zu fragen: „Jola! Warum ist dieses Kleid …ähem…noch so neu?“

Habe ich eine Narbe aufgerissen, frage ich mich unmittelbar, als ich Schweigen von gegenüber ernte. Aber damit hätte die jahrelange Hüterin des Brautkleides doch rechnen müssen, denke ich verwundert und nippe verlegen am Flaschenhals. Hab ich so wenig Taktgefühl und die Empathie mit dem Gesöff so schnell weggespült?

„Du bist also von hier?“ fragt Jola,. Endlich ein Lebenszeichen. „Ja, ich bin von hier. Ursprünglich.“ Wieder eine beinahe künstlerische Pause. Ein bisschen Füll-Bla-Bla am Anfang ist ganz okay, denke ich voller Geduld und hoffe auf eine weiteres Fläschchen, um was in der Hand zu halten. „Bediene dich ruhig, Charlotte. Hole zwei raus.“ Jola warf ihren Kopf in Richtung Kühlschrank. Ein sehr hipper, wie ich finde. Das Hippeste hier in dieser Wohnküche. Hier müsste mal eine neue Farbmischung her, denn Farben aus einer Farbfamilie finde ich hier definitiv nicht. Eine blöde Macke von mir. Kaum bin ich zum ersten Mal in einer Wohnung oder in einem Haus, gestalte ich grundsätzlich die Räume im Geiste um und erstelle sofort eine Möbel-Exitus-Liste. Erstaunlicherweise fühle ich mich nicht unwohl und finde das Möbelarrangement recht passend in einer Altbauwohnung. Insgesamt habe ich ein gutes Gefühl, mal abgesehen von der Disharmonie der Farben. Mintgrün wäre eine Alternative, sinniere ich. Also wenn ich hier wohnen würde…

„Vor fünfzehn Jahren wollten wir heiraten“, kommt es endlich aus ihrem Mund. Ich finde Es-war-einmal-Geschichten nur begrenzt toll. Was kommt also jetzt? Das schlechte Karma, das unsichtbar und geruchlos im Kleid eingewebt ist?

Fortsetzung folgt// Copyright Claudia Buecken

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