„Das Kleid ist wunderschön, immer noch nach den Jahren. Direkt nach dem Kauf habe ich die Verlobung gelöst und den Ring zurückgegeben.“ Der Anfang einer vergrabenen Story, die heute auf Ent-Erdigung wartet,“ frotzele ich still. „Das Kleid hast du behalten! Ein Glück für mich,“ warf ich prompt ein, um ein bisschen Positivitääääät einzustreuen. Oder soll ich lieber mimisch drauf einsteigen?
Die Verlobte und die düstere Storytellerin – ein Titel für mein Tagebuch, meinem heißgeliebten Scrapbook, Also gut: „Um Himmelswillen, warum denn nur gelöst?“ Mittlerweile trinke ich Limonade, grüne Limetten-Limonade, um ganz Ohr bleiben zu können. Schließlich muss ich auch noch Auto fahren, was denkt Ihr? Im Grunde kann ich es kaum abwarten, das über die Jahre vernachlässigte Kleid anzuprobieren. Aber mit Füll-Bla-Bla kann ich mich nicht herausschleichen. „Wir waren einfach zu lange zusammen. Die geplante Hochzeit war damals kein Highlight mehr für mich gewesen. Nichts, was unser Paar-Sein hätte aufplüschen können. Ich hatte damals wohl gespürt, dass wir über dem Zenit waren.“ Ich denke adhoc, mehr war es nicht? Überm Zenit? Nichts weiter vorgefallen? Kein Dauerstreit, kein Seitensprung? Kein gelüftetes Familiengeheimnis? Ich habe jetzt mehr erwartet. Mein Verlobter hat sich mehr erlaubt und ist skandalträchtiger im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Oh, hmh…ich habe lange nicht mehr an ihn gedacht, schreibe ihm gleich eine Nachricht. So lange wird es hier nicht mehr dauern.
„Ihr lebt noch zusammen? Sieht hier nach einem Leben zu zweit aus. Oder neuer Lebensgefährte? Zwei Namen sind unten auf dem Klingelschild. Wenngleich ich den zweiten Namen nicht richtig entziffern kann. Verblichen irgendwie.“ Ein bisschen neugierig bin ich, gebe ich offen zu. „Ja, wir leben seit fünfundzwanzig Jahren hier zusammen, alles etwas verblichen und Staub drauf,“ lächelt Jola sanft.
„Gibt es einen Schleier dazu, zufällig in elbenbeinweiß?“ lenke ich ab und steuere mit meinen Augen in Richtung des Kleides. „Ja, der existiert, vermutlich irgendwo eingetütet und oben auf dem Kleiderschrank. Vermutlich ebenso eingetrübt wie das Paar-Sein, mutmaße ich und trotte hinter ihr her, aber mit wachen Augen. Überm Zenit nach zehn Jahren Beziehung, rechne ich im Kopf aus. So ist das also nach einer langen Zeit, denke ich und inspiziere während meines gemütlichen Durchmarschs den Rest der Wohnung bis hin zum Schlafzimmer im Landhausstil. Okay, hat was, aber die Farben drumherum, wie gehabt. Andere Bilder sind nötig. Ganz anderes Feng Shui als in Berlin. Jola steht mittlerweile auf einer Trittleiter, um fündig zu werden und tastete den Schrank von oben ab. Ich sehe Staubflocken, die aufwirbeln. Von unten kann ich erkennen, dass einiger Plunderkram dort oben liegen muss. Ein Ventilator, zwei mutmaßlich geblümte Stuhlkissen und ein matter Messingbehälter. Für Ihr Alter hat sich Jola gut gehalten, gesamtbildlich. Ja, okay, auch ein nettes Gesicht. Blonde Haare wie ich, oder blond gefärbt wie ich. Sympathisch ist sie. Wie ich natürlich. Nur etwas kleiner als ich. Ist aber kein Nachteil, grinse ich. Aber man braucht für alles eine Trittleiter, grinse ich weiter.
„Ich glaube, ich habe ihn gefunden. Wird dann wohl eher ein grauer Schleier sein!“ kündigt Jola fast entschuldigend an, während sie versucht, ihn hervor zu holen. Irgendwie scheint er eingeklemmt zu sein. Nun ja, der Schleier ist sowieso nicht mit im Preis inkludiert, denke ich nachsichtig und beobachte die Szene. Jola zerrt mit viel Radius am Schleier, der sich nicht herauslösen lässt. Sie reißt mittlerweile an dem transparenten Stoff. „Hier war lange keiner mehr,“ kichert sie. Mit einem Ruck fliegen der graue Schleier, die tatsächlich geblümten Stuhlkissen und der matte Messingbehälter vom Dach der vergessenen Welt. Ich kann noch rechtzeitig wegspringen. Was für eine Schnappschuss-Reaktion, denke ich schnell. Der Inhalt des matten Messingbehälters liegt verstreut um uns herum. Ich hüstele, als hätte ich Dornröschen wachgeküsst und heiße nun eine alte Zeit willkommen. Vergilbte Fotos, Bierdeckel, ein paar Bilder und Ansichtskarten. Es wäre höflicher, nicht auf das Herausgeschleuderte zu starren, ermahne ich mich… Ansichtskarten… eins, zwei…sechs an der Zahl. Mein Blick klebt an den Ansichten…
Fortsetzung folgt // Copyright Claudia Buecken