@charlotte_schreibt: Süß oder sauer? (14)

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Lan oder WLan? Porsche oder VW Käfer? Sommer oder Winter? Himmel oder Hölle? Bleiben oder die Flucht ergreifen? Ich stelle mir gerade eine Papierspitztüte mit Süßem oder Saurem vor, das ultimative Relikt aus meiner frühen Schulzeit. Ich greife in Gedanken beherzt rein und weiß nicht, welche Grimasse ich im nächsten Augenblick ziehen werde.

Der Mensch ist ein Fluchttier, das immer seine Haut retten will: „Ich werde dann mal gehen.“ Ich zeige auf das am Bügel drapierte Objekt meiner Begierde. „Bezahlt iss ja“, ergänze ich salopp und beginne das Kleid abzuhängen und hastig zu falten.

„Bitte probiere es an,“ sagte Jola plötzlich. „Ich weiß, es wird dir passen, aber schau in den Spiegel und überzeuge dich.“ Ich halte inne. „Überzeugen wovon?“ Jola hüllt sich scheinbar in einen „selbst gestrickten Weisheitsmantel“ und zielt darauf ab, dass ich meine eigene Frage selbst beantworte: „Das richtige Weiß, der richtige Ort, der richtige Zeitpunkt, der richtige Mann an meiner Seite?“

„Ja, genau, liebe Charlotte. Ziehe es an und lasse es wirken!“ Anziehen und wirken lassen und staunen, welche Grimasse ich ziehen werde. Ich reiße das Kleid an mich und verschwinde wieder ins fremde Schlafzimmer. Ich kicke mit dem rechten Fuß den restlichen Krempel, der noch auf dem Boden liegt, beiseite und schlüpfe hinein. Ist es anmutig genug, wie ich mich in die echte Größe 40 schlängele? Plötzlich steht Jola hinter mir und zieht den Reißverschluss am Rücken hoch. Dann verlässt sie wieder den Raum und lässt mich mit meiner ganzen Anmut oder Nicht-Anmut allein. Ich warte auf die Wirkung.

Das Kleid sitzt perfekt. Das Weiß im jalousie-gebrochen Tageslicht ist perfekt. Die Frau, die drin steckt, nicht ganz perfekt, aber hat Klasse! Meine Augen leuchten den Spiegel an! Dann erschrecke ich mich, weil ich ziemlich lange nicht an Monsieur gedacht habe, den ich jetzt vorm Spiegel stehend an meine Seite projizieren muss. Um die Wirkung zu vertiefen. Ich sehe aber nix. Die Seite rechts bleibt trotz intensiv-geistiger Fotomontage unbesetzt. Konzentriere dich, sporne ich mich an.

„Vielleicht habe ich nicht genügend Vorstellungskraft,“ meine ich dann entschuldigend zu Jola, nachdem ich in die große Wohnküche zurückgekehrt bin. Ich kippe mir einen Schluck Sekt in den Hals. „Wie maßgeschneidert“, bemerkt meine Gastgeberin, die sich mittlerweile anstellt, etwas Essbares zu zaubern. Ich drehe mich inzwischen schwungvoll im Kreis, um weitere Bewunderung zu erhaschen.

Ich stoppe abrupt. Ich höre Geräusche eines Schlüssels und das typische Klicken des Türschlosses dazu. Der Wohnungstüre öffnet sich. Die männliche Gestalt steht im Türrahmen und starrt auf mich und auf die Szene, die sich vor ihren Augen anbietet.

Der Adressat meiner sechs Postkarten aus aller Welt betritt die Bühne. Ich ziehe unwillkürlich eine Grimasse, aber welche? Welches Bonbon aus der Tüte habe ich erwischt?

Fortsetzung folgt // Copyright / Claudia Buecken

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